Urteil des BAG vom 18.11.2014, AZ: 9 AZR 581/13)

Das BAG hatte im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob durch die seit Jahren vorzufindende Praxis, dass über 85 % aller Zeugnisse die Note „gut“ aufweisen, dazu führt, dass dem Arbeitnehmer dadurch bereits ein Anspruch auf ein „gutes“ Zeugnis entsteht, da diesem schließlich ein Anspruch auf ein „durchschnittliches“ Zeugnis zusteht.

Befindet sich in einem Arbeitszeugnis die Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“, bescheinigt der Arbeitgeber eine Schulnote „befriedigend“. Begehrt der Arbeitnehmer eine bessere Benotung, muss er darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist. Dementsprechend muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer schlechter war, wenn er diesem eine schlechtere Note als „befriedigend“ geben möchte.

Diese Grundsätze gelten grundsätzlich auch dann, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute („stets zur vollen Zufriedenheit“) oder sehr gute („stets zur vollsten Zufriedenheit“) Endnoten vergeben werden, so nunmehr das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil.

Sachverhalt

Die Klägerin war als Bürofachkraft im Empfangsbereich einer Zahnarztpraxis beschäftigt. Dort führte sie die Praxisorganisation, Betreuung der Patienten und Terminvergaben durch, wobei auch die Ausfertigung von Rechnungen und Aufstellung der Dienst- und Urlaubspläne zu ihrem Aufgabenbereich gehörten. Zudem half beim Praxisqualitätsmanagement.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilte der Arbeitgeber ein Arbeitszeugnis über ihre Arbeit, wobei darüber gestritten wurde, ob die Leistungen der Klägerin mit „zur vollen Zufriedenheit“ oder mit „stets zur vollen Zufriedenheit“ zu bewerten sind. Sowohl das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 26.10.2012, AZ:28 Ca 18230/11)  als auch das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21.03.2013, AZ: 18 Sa 2133/12) haben der Klage statgegeben. Der Arbeitgeber habe nicht dargelegt, dass die von der Klägerin beanspruchte Beurteilung nicht zutreffend sei.

Die Gerichte stützen Ihre Entscheidungen auf neuere Untersuchungen, wonach durchschnittlich nicht ein Zeugnis mit der Note befriedigend, sondern mit der Note gut vergeben wird. So gibt es aus dem Jahr 2011 eine Studie des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, bei der 802 Arbeitszeugnisse aus den Branchen Dienstleistung, Handwerk, Handel und Industrie ausgewertet wurden. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass 38,8% der Zeugnisse der Leistungsbewertung 1 oder 1,5 des üblichen Notensystems, 48,5% der zeugnisse der Note 2 oder 2,5, 11,6% der Note 3 oder 3,5, 0,6% der Note 4 sowie 0,5% schlechter als 4 zuzuordnen waren. Eine Auswertung von 1.000 Arbeitszeugnissen durch die Personalberatungsgesellschaft Personalmanagement Services GmbH aus dem März 2010 kam zu dem Ergebnis, dass bei 963 mit einer Leistungszusammenfassung versehenen Arbeitszeugnissen die Leistungen in 33,2% der Fälle mit sehr gut, in 35,1% der Fälle mit gut, in 15,8% der Fälle durchschnittlich, in 3,3% der Fälle unterdurchschnittlich und in 0,2% der Fälle mit mangelhaft bewertet wurden. Vergleiche Aufsatz von Düwell/Dahl, Die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung im Arbeitszeugnis, NZA 2011, 985 ff..

Ausgehend von diesen Studien kamen das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis, wonach – zwangsläufig – dann ein durchschnittliches Zeugnis die Note 2 bedeutet. Denn die Note 3 ist nach den vorbenannten Untersuchungen nur unterdurchschnittlich und würde bei Bewerbungen zu einem Ausschlusskriterium führen. Folgerichtig werden vom Arbeitnehmer, der die Note 2 begehrt, nicht mehr Darlegungen überdurchschnittlicher Führung, Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen verlangt.

Diese Entscheidung war an sich begrüßenswert, weil sie logische Konsequenzen aus der Lebens- bzw. Zeugniswirklichkeit gezeigt hat.

Gleichwohl hat sich das BAG dieser – an sich zutreffenden – Argumentation im Rahmen der von dem Beklagten eingelegten Revision nicht angeschlossen und die Urteile aufgehoben und die Klage an das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die vom Landesarbeitsgericht zur Ermittlung einer durchschnittlichen Bewertung herangezogenen Studien, nach denen fast 90 % der untersuchten Zeugnisse die Schlussnoten „gut“ oder „sehr gut“ aufweisen sollen, führen – nach Ansicht des BAG – nicht zu einer anderen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Es sei für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht an die in der Praxis am häufigstens vergebenen anzuknüpfen. Ansatzpunkt sei die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zufriedenheitssala. Richtet sich der Begehr des Arbeitnehmers darauf, eine bessere Note zu erhalten (also im oberen Bereich der Skala), so muss dieser darlegen, dass  er diesen Anforderungen „gut“ oder „sehr gut“ gerecht geworden sei und dies auch im Bestreitensfalle beweisen.

Im Übrigen lasse sich den Studien Tatsachen, die den Schluss darauf zulassen, dass neun von zehn Arbeitnehmern gute oder sehr gute Leistungen erbringen, nicht entnehmen. Damit könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen. Der Zeugnisanspruch nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO richtet sich auf ein inhaltlich „wahres“ Zeugnis. Das umfasst auch bzw. gerade die Schlussnote. Ein Zeugnis muss auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein.

Der Neunte Senat hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird als Tatsacheninstanz zu prüfen haben, ob die von der Klägerin vorgetragenen Leistungen eine Beurteilung im oberen Bereich der Zufriedenheitsskala rechtfertigen und ob die Beklagte hiergegen beachtliche Einwände vorbringt.

Im Ergebnis hat sich also nichts geändert.

Gericht: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2014 – 9 AZR 584/13

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. März 2013 – 18 Sa 2133/12 Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 26.10.2012, AZ:28 Ca 18230/11

Denn Volltext des Urteils finden Sie hier: http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&nr=17927